Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Bis Okt. 2017 verboten)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Seit Okt. 2017 wieder frei)
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Reisen

Neapel, 3. - 6. April 2016

>>>> Napuluno
>>>> Napuledue

Podcast Reise & Literatur. WDR 3, Gutenbergs Welt. Mit Manuela Reichert.

>>>> Darin im Blick eines Mädchens von allenfalls zwölf. Von Alban Nikolai Herbst.

Aus Paris (3). PP117, 26. Februar 2014: Mittwoch. Für Henri Heine. Fahlmanns Welten 5.



Dies war mein tiefster Moment gestern, als ich auf dem Cimitière de Montmartre vor Heinrich Heines Grab stand. Es ist das beinah gepflegteste des gesamten kleinen Friedhofs, wenn ich von den heroischen Grabmalen absehe, die oft in schwarzem polierten Granit ausgeführt sind. Sehr unangenehm die Gedenkstätte für Hector Berlioz, nach dem auch eine der strukturierenden „Avenuen“ benannt ist, unangenehmer um so mehr, je deutlicher einem vor Augen steht, wie er seinerzeit abgelehnt wurde. Nun schaut er zur Seite wie ein Kriegsheld.
Nicht so Heine. Schauen Sie sich diesen innengekehrten Blick an. Und wer pflegt dieses Weiß? - Immer wieder werden hier Steine auf die Grabplatte gelegt. So tat auch ich. Das vorausehende Sterbegedicht, das in sie eingeschlagen ist, habe ich gesprochen, als ich in Andacht dort stand, und also mit auf dem Tonfile; mir kam der Gedanke, diese kurze Stelle in >>>> das Fahlmann-Hörstück mit zu übernehmen; vielleicht läßt sich das wirklich, also organisch, realisieren. Dies wird die nächste Woche zeigen.
*******
Zuvor, gleich morgens, zu den Katakomben gefahren, weil ich vorgehabt hatte, in ihnen tief drunten die Atmosphäre aufzunehmen und sie Eckers Erzählungen von der unterirdischen Stadt zu unterlegen. Aber ich brach ab: eine Schlange von bestimmt dreihundert Leuten wartete, als ich an der Place Denfer-Rocherau ankam. Da wäre unter der Erde nur Gequassel gewesen und daran, eine bestimmte Leere des Klingens einzufangen, nicht zu denken.
Immerhin hatte sich der Regen, mit dem der Tag eingesetzt hatte, milde stimmen lassen, von mir vielleicht, vielleicht von der Aussicht auf den nun deutlich nahen Frühling; jedenfalls zeigte er zwar, von Zeit zu Zeit, daß er noch da war, durch gelegentliches Tröpfeln, aber das störte nicht einmal meine Geräte. Mit einem langen Fußmarsch bis durchs Quartier Latin, die Insel, noch einmal Rivoli und Rue du Temple, und gegessen im Minh Chau, das die Löwin einmal das kleinste Restaurant von Paris genannt hat, am Quai Henri II weiter, erneut über die Seine und von Norden also in den Jardin des Plantes, auch eine „Spielstätte“ Fahlmanns. Indes, als ich vor dem Paleontologischen Museum stand, war es geschlossen. Ich werde jetzt gleich noch einmal hinfahren, mit meinem Gepäck, das ja nicht viel ist (allerdings hab ich einigen Käse gekauft, der nun hindurchduftet; ich werde die kleine Tasche am Check-in aufgeben müssen heute abend, damit man ihn mir nicht abnimmt), und die Aufnahme in dem Museum nachholen. Um Viertel nach einundvierzig Uhr startet mein Flieger zurück nach Berlin.
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Der Abend bis in die Nacht galt einem Treffen, eines engen Freundes der Samarkandin nämlich, der sich ein wenig verspätete. Ich hatte draußen vor der Divette de Montmartre gesessen, das Aufnahmegerät mitlaufen lassen, dann war es mir zu spät geworden, ich mochte mich nicht versetzen lassen, ging also hinein, um zu bezahlen, tat dies, drehte mich um – und da stand dieser Freund in der Tür.
Es wurde nicht sehr spät, aber als wir uns trennten, hatten wir doch einiges getrunken, und ich habe viel, sehr viel erfahren über die Stadt, über namentlich ;Montmartre und die derzeitigen Versuche der Ordnungsbehörden, das Gebiet zu, quasi à la Giuliani, „reinigen“. Das paßt zu den Prostitutionsgesetzen, paßt zu den Rauchergesetzen und dazu, daß diese hierzulande auch die eCigaretten mit einschließen, nicht, weil sie schädlich wären, sondern, so die Begründung, weil man mit ihnen ein schlechtes Vorbild für die Jugend sei. Daß wir insgesamt eine moralische Restauration zu spüren bekommen, ist deutlich insgesamt. Man will ein leitbares Volk.

(9.50 Uhr.
Nation Montmartre, 25.)

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Aus Paris (2). PP116, 25. Februar 2014: Dienstag. ("Fahlmanns Welten", Töne ff). Fahlmanns Welten (4).

Was wäre Paris ohne Regentage?
Nicht Paris.
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Die Zeit, Ihnen zu erzählen werde ich kaum vor dem Abend finden; zu dicht sind die Aufnahmetermine gelegt, zu viele Gänge sind zu unternehmen dafür, und auch der Netzzugang hier im Hotel ist ausgesprochen zickig, kostet also sehr viel Zeit..
Aus Paris:
ANH, der jetzt vor dem nächsten Aufbruch die drei Aufnahmen von heute früh wenigstens so auszeichnen muß, daß er später auch genau weiß, wo und unter welchen Umständen sie entstanden sind.

>>>> Fahlmanns Welten 5
Fahlmanns Welten 3 <<<<

Aus Paris. Direkt in die Maske getippt. PP115, 24. Februar 2014: Montag. Fahlmanns Welten (3).

Angekommen. Mehr heute Abend. (Mit Fotos ist's derzeit ein wenig kompliziert; deshalb siehe einstweilen >>>> d o r t.)
(11.21 Uhr.)
***
(21.02 Uhr.)

Und >>>> danach nunmehr dies:

*******
>>>> Fahlmanns Welten 4
Fahlmanns Welten 2 <<<<

Aufbruch und ein Untergang, vorher. PP79, 8 gennaio 2014: Mercoledì.

Mir träumte, daß die Welt unterging. Ich versuchte, mich an ihr mit Magneten zu halten, die die Form von großen Schraubenschlüsseln hatten. Ich telefonierte, da ich nicht in Berlin war, mit der Mama meines Sohns, auch mit den beiden Zwillingskleinen. Ich entschuldigte mich bei ihnen und meinem Sohn, dafür, daß wir ihnen kein längeres Leben geben konnten. Die Mama sagte, aber ohne Vorwurf, es sei falsch, daß ich nicht bei ihnen sei; eine Familie gehöre am Ende zusammen. Ich entgegnete nicht, daß wir keine mehr seien, dachte es aber, weil zur Frau der Mann gehört, nicht nur das eine Elternteil zum andern. Ich lauschte. Ich hörte eine Art Rauschen. Dann war alles vorüber, aufgegangen in Energie ohne Willen.
*******
(10.34 Uhr.)

Gepackt, fast schon alles beisammen. Um 13.05 Uhr geht mein Zug nach Tiburtina, dort umsteigen, Viertel vor drei am Aeroporto Fiumicino, das läßt genügend Luft, auch zum Lesen, wenn der Rucksack bereits aufgegeben. Mögliche Verspätungen mit einkalkuliert. Ist mir lieber, als auf die Enge zu fahren, nervös dabei, so daß der Handke mir unter den Blicken zerbröselte. Um 17 Uhr schließt das Gate.
Aber als nahezu erstes, direkt nach dem Aufstehen, trieb es mich wieder >>>> an die Kammermusik und setzte ein Stück fort, das, wirklich diffizil, ich gestern nacht dann abgebrochen hatte. Der eigenwillige Traum scheint es mir ergänzt zu haben, unbewußt, ohne Wissen, das aber nun wurde. Wo Es war, ward das Gedicht. Noch bevor der Freund sich erhob - ein Schnaufen aus seinem Zimmer, ein Husten, ein Protestgrolln aus der Brust dazu, daß des Schlafens Hafen schon erreicht und vom Schlaf gelöscht werden müsse -, war ich fertig. Und bin wirklich ein bißchen stolz auf das Ding, so daß ich mir es ausgesprochen verkneifen muß, den Text bereits jetzt einzustellen. Immerhin die Nummer III der Sammlung und das vierte Gedicht, das ich fertigbekam. Heute abend, nach meiner Ankunft in Berlin, dürfen Sie mit dem zweiten rechnen, oder morgen früh nach dem Training, sowas um halb neun.

Welch schöne Tage waren dies! Und es ging auf: Jetzt bin ich im Gedichtmodus d r i n, darf ihn nur nicht verlieren, wenn neu die Berliner Notwendigkeiten anstehen und weil ich da ohnedies bereits auf dem nächsten Reisesprung bin. (Auch das dritte Neapelgedicht, düstere Langzeilerverse, beginnt, Formen anzunehmen, die sich auch schon mal vorzeigen lassen, vielleicht noch nicht öffentlich, aber den Freunden).

Nächste Meldung STOP aus Berlin. GO.
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PP78, zum vierten Mal aus Amelia. Matthäus und einfach nur dasein. Die tätige Ruhe.

(13.12 Uhr.)
Der Freund treibt mit anderen Schiffbrüchigen auf einem Floß noch Hunderte von Kilometern von Neu-Guinera entfernt dahin. Ich aber habe heute nicht mal in der Niemandsbucht, worin das Floß ja auch dümpeln könnte, gelesen, wenn man ein wenig den Kopf dreht, um die Perspektive zu wechseln; morgens war es zu kalt auf den Stufen. Jetzt allerdings, mit der Sonne, hat der Winter erneut ein wärmendes Ansehn bekommen, vor allem, nachdem wir einkaufen waren, ein Stückchen Zappalà al pistacchio vor allem, auch dolce Gorgonzola und einen schwer getrüffelten Olivenpatè. Dazu das helle, großporige italienische Brot, das man in Deutschland nicht oder nur um horrende Summen bekommt; ein halbes werde ich morgen noch erstehen, um es mit heimzunehmen.
Im übrigen nicht viel getan, wozu die Löwin, gestern abend am Telefon, sagte: „Ihre Stimme klingt wieder gut. Und ich mag einfach nicht immer in einem Bleisee baden, wenn ich Sie lese.“ Handke aber folgt noch gleich, hundertfünfzig Seiten waren es gestern – s e h r locker gesetzte, allerdings, in Suhrkamps Halbblindenschrift; ich hab mal behauptet, ich schriebe dort allein in den Durchschuß drei weitere Romane.

Aber etwas anderes.
Ich >>>> schrieb schon einmal darüber, nein, mehrmals : Sellars‘ „Ritualization“ der bachschen Matthäuspassion. Gestern abend, nachdem wir – der Freund wegen >>>> Chamber Music – einige Zeit lang Purcell gehört (und angeguckt, bei Youtube, eine hübsche Inszenierung der Fairy Queen, William Christie), wollte ich dann unbedingt, daß auch >>>> Parallalie endlich diese Aufzeichnung sieht, der erst ein wenig skeptisch war, bevor sie dann lief. „Gucken wir doch einfach mal rein, ist aber gefährlich: man bleibt hängen.“ Gefährlich ist grad eines meiner Lieblingswörter, jedenfalls gebrauch ich es momentan oft, halb, um zu locken, halb, um wirklich ein bißchen zu warnen – egal. Also die Digitale Konzerthalle der Deutschen Philharmoniker.
Um auch Sie zu überzeugen, muß ich nun nichts weiter tun, als die folgenden drei Bilder zu zeigen, des Dichters, wie er hört und s i e h t (zu sehen, ja!, ist bisweilen ein Akt der Erkenntnis und Bekehrung):







Wir erlaubten uns nur den ersten Teil der Passion, es wäre sonst zu spät geworden; der zweite wird heute abend folgen.
*******
Nun aber will ich endlich lesen; mit Zugfahrt und Wartezeit morgen am Aeroporto Fiumicino sollte ich >>>> den Handke durchbekommen haben. Und wieder an die Gedichte danach, nach den einhundert vorgenommenen Seiten. Es ist ja gerade erst mittags. Zumal es darum geht, einfach noch etwas hierzusein. Dann habe ich den Donnerstag, Freitag, Sonnabend und den Sonntag vormittag, um die geschätzten ZweiKiloZuviel wieder loszuwerden und meine >>>> Kjærstad-Besprechung zu schreiben, bevor es nach Österreich, erst nach Innsbruck, dann nach Wien geht, wo ich am 16. abends >>>> in der Alten Schmiede aus >>> Argo lesen und mit Andreas Puff-Trojahn über das Buch sprechen werde und über die Trilogie wohl insgesamt. Ich annoncier das aber noch mal gesondert.
*******
Einfach nur da sein: Handkes Unternehmung, die ihm, seinem Erzähler, offensichtlich leichter fällt als mir; ein quasibuddhistisches Vorhaben, das einer Distanz bedarf, die mir fehlt, auch wenn ich zugeben muß, daß diese Art von Distanz angefüllt mit Nähe ist. Schon, weil sie sich nicht mehr bewegen möchte. Deshalb spielt in aus dieser Haltung geschriebenen Bücher Handlung nicht wirklich mehr eine Rolle. Mich dagegen würde, fällt mir dazu ein, interessieren, Handlung-selbst („Geschehen“) als einen meditativen Akt zu gestalten, etwa den Sexualakt: als religiöses Ritual. Deshalb wohl meine Neigung zur „Über“höhung und meine Abwehr pragmatischer Lebensvollzüge. >>>> Aufladung ist das Geheimnis:
Die meisten Menschen, aber, ist mein Eindruck, wollen, sind sie aus der Jugend einmal heraus, entladen. Auch deshalb mein Gefühl der Fremdheit, da jetzt aber warm, ja sättigend ist: eine seltsame, weil höchst tätige Ruhe verheißend.
*******
(18.29 Uhr.)

Nun haben wir also doch schon >>>> begonnen; plötzlich, ohne eine Zeile Handke gelesen zu haben, heute, überkam es mich, und ich nahm den Band her. Fing mit einem ganz anderen, der Nummer 5, an, die, >>>> die mich geärgert hatte, warf die Nachdichtung quasi aus der Linken Hand hin, und weil ich dann schon einmal dabeiwar... wobei wir, der Freund und ich, momentan uneins wurden, wie vorzugehen, generell, ob, so er, nach Joyces Reihenfolge, ob, so ich, nach Liebesneigung. Im Interesse Der Dschungel sah ich seine Argumente freilich ein.
Die Entwürfe der Übersetzungen werden, wie schon beim Giacomo Joyce, jeweils unter den Originaltexten in den Kommentaren stehen und können auch, und sollten, diskutiert werden. Wie entscheidend sich die Fassungen verändern, können Sie sehen, wenn Sie >>>> Giacomos Dschungelrubrik mit >>>> dem schließlich erschienenen Buch vergleichen; in einigen Fällen haben – auch pseudonyme – Kommentator:inn:en entscheidende Anstöße gegeben.

Gleich aber wird gekocht: Spaghetti carbonara. Der Wein ist freilich schon geöffnet. Und auch die, quasi, Abschiedsflasche Grappe duftet, nachdem wir sie, ein nächstes Quasi, ent„kork“t:
*******

Der Befanas musica da camera. La terza mattina amerina: PP77, 6 gennaio 2014: Lunedì.

Abermals kein morgendlichen Lesen auf den Stufen; es war dort noch, als ich aufstand, zu feucht von dem Gestern und seiner Nacht auf das Heute; so ersann ich, ein Gedicht darüber zu schreiben, hielt mich aber eines Briefes wegen ab, der zu fassen als einen Tanz, der beginnt und zu einer anderen Befana gehört als der, die den Stern verpaßte und nun eilend von Haus zu Haus fliegt, um doch noch das Christkind zu finden:
Jedenfalls ist heute, Epifania, Feiertag in Italien, was aber hier ebenso wenig wie in Berlin bedeutet, daß man nichts Nahrhaftes einkaufen könne. Kann man, gewiß bis zum Mittag. Aber wir, der Freund und ich in unsren splendid isolotions (ein gerne von Gustav Mahler verwendetes Wort, allerdings vom >>>> Almschi), sind gut genug versorgt, werden vom Gastmahl des Meeres nunmehr zu einer Piatta di terra schreiten, sitzend, schreiten tun dann nur die Zähne, nachdem wir gestern nacht uns nun endlich entschieden:
Ein Wagnis!
Also, Leserin, also, Leser.
E.E. Cummings, den uns >>>> Gogolin nahegelegt hat, schied sehr schnell aus unserer Wahl: der Urheberrechte halber, die nicht mehr von ihm selbst eingeholt werden müßten, sondern vom Rechtenachfolger; etwas, das ich prinzipiell nicht einsehe, weil man dann auch noch mit Leuten verhandeln müßte, die selbst nie den Läuterungsberg auch nur beschritten haben, der die Kunst ist, sondern verstehen sie als Ware, Ding. Und Montale, auf dessen Finisterre wir die Augen schon wirklich geworfen, geht aus einem anderen Grund nicht. Christian Ferber hat im letzten Jahr >>>> eine nicht nur repräsentative, sondern referentielle Neuübersetzung von über zweihundert Montale-Versen vorgelegt; das macht man dann nicht, dem etwas entgegenzusetzen. Es wäre achtungslos, stillos. Und schließlich Hopkins. Ich habe ein tiefes Widerstreben gegen glatte, zumal von Anfang an viel zu abgefederte Lebensläufe, vor allem gegen fehlenden Zweifel; und Frauen, die ertrinken, in ein „Näher, mein Gott, zu dir!“ umzuver„schönen“, macht mich grantig; da möchte ich spucken. Hopkins‘ lyrische Größe sei ihm unbenommen, aber nicht ich mag ihr noch fronen. (Wie anders hingegen des gleichermaßen wohlsituierten Hofmannthals Chandos!) - Also das fiel alles weg.
Nun hatte mich schon seit vorgestern, weil wir „natürlich“ auch wieder ein bißchen Joyce gelesen hatten, permanent eine Übersetzung geärgert, und zwar so sehr permanent, daß mir das gar nicht mehr aus dem Leib ging:
Lean out of the window,
Goldenhair,
I heard you singing
A merry air.

My book was closed;
I read no more,
Watching the fire dance
On the floor.

I have left my book,
I heft left my room,
For I heard you singing
Through the gloom.

Singing and singing
A merry Air,
Lean out of the window,
Goldenhair.
Johann Ulrich Saxer überträgt das folgendermaßen grauslich:„Lehn aus dem Fenster,/Güldenhaar,/Ich hörte dich singen,/Wunderbar.

Geschlossen mein Buch,/Ich las es nicht ganz,/Am Boden bannt mich/Des Feuers Tanz.

Ich ließ mein Buch,/Mein Zimmer liegt weit,/Dein Singen hört ich/In Dunkelkeit.

Singend, singend,/Wunderbar,/Lehn aus dem Fenster,/Güldenhaar.“

Nicht nur, daß er Goldenhair ganz offenbar nicht versteht, nämlich als Anrufung >>>> Niams of the Golden Hair, die eben zu einem Dichter in Liebe verfiel, so daß das antiquierte „gülden“ vollkommen schief sitzt, - nein, Saxer unterschlägt vor allem die Kausalfolgen: For I heard; das wiederum führt dazu, daß er sogar die unmittelbare Gegenwart („I read no more“), das unmittelbare Erleben in ein vergangenes, also in Distanz, verfälscht. Dieses nimmt dem Gerundium „singing“ als ein, im Deutschen, „singend“ jede Präsenz.
Noch schlimmer sind Saxers Übersetzungen, wenn es um weibliche Geschlechtsmerkmale geht. Man kann da nur spotten. Hörn Sie nur mal d a s: „I would in that sweet bossom be“ (Joyce); „In solchen Brüsten wollt ich träumen“ (Saxer). Jaherrgöttin, als Milchkanal oder was? Anstelle sich wirklich dort einzuschmiegen und dann den Kopf eben im Busen ruhen zu lassen, der ja gerade n i c h t die Brüste ist, sondern die Bucht zwischen ihnen.
Je später unser Abend wurde, desto klarer auch, daß es nun das sei, was wir angehen wollen: Chamber Music, James Joyce, 1907. Das ist ein größeres Wagnis, als es unser >>>> Giacomo Joyce war, denn in einem hat Saxer schon recht: daß wir dem Reim nicht ausweichen können (noch wollte ich das); aber man darf nicht, um zu reimen, die Bilder schiefen noch den Liederrhythmus stören, nämlich Lieder, eigentlich, sind es. Wobei durchaus deutlich ist, wie sehr Saxer diese Gedichte liebt; bei aller Kritik ist das doch unbedingt festzuhalten, auch dann, wenn ich einmal mehr das Gefühl hatte, hier sei zu wenig Saft in den Hoden. Nur Herz, geschweige nur Geist, das reicht nicht.
Ein Gedicht hat Joyce übrigens selber vertont:


*******
(10.55 Uhr.)

Wiewohl nicht auf meinen Stufen dabei sitzend, sondern in der Sala, weitere einhundert Handke-Seiten gelesen gestern, sogar etwas mehr, und das nächste Neapelgedicht vorgenommen, dessen erste Zeilen ich handschriftlich hingeworfen hatte, noch während der Zugfahrt hierher: Langverse. Damit will ich gleich weitermachen.
Aber die Sonne ist wieder herausgekommen seit etwa einer halben Stunde, so daß der Freund für den Nachmittag den Vorschlag eines Spazierganges machte. Deshalb jetzt: herannen!

(Mich übrigens hat nicht Niam, sondern >>>> Lan-an-Sìdhe geküßt, doch dafür - es war ein Zungenkuß bis hinters Zäpfchen - erstaunlich lange am Leben gelassen.)
*******
(13.06 Uhr.
Sonne!)
Jetzt also aber doch: mit Handke auf die Stufen.

(18.40 Uhr.)
Mehr zu Handke heute >>>> dort; meines Kommentares wegen werden vielleicht einmal wieder die Wogen steigen: gischtend.
*******
(20.40 Uhr.)

… di terra (con Purcell, interpretato da Andreas Scholl):

*******

„Piove come dio la manda“: La seconda mattina amerina. PP76, 5 gennaio 2014: Domenica.

An eine Leserin:Welch ein schöner Brief zur Nacht! Die/über es gegossen und gegossen hat in Amelia; ich werd nachher noch darüber schreiben. Es ist alles ein wenig später geworden, sowohl nachts gestern als in der Frühe heute, so bin ich nicht mal an den Handke gekommen bisher und friemele außerdem an einem der neuen Neapelgedichte herum. Selbstverständlich lenken Briefe wie Ihrer zusätzlich ab.
(…)
Italianità, man muß da, auch frau, unterscheiden; hier in Amelia keine Napoletanità, die Leute sind bergig zurückhaltend fast, ein bißchen vornehm, ein bißchen durchdünkelt; andererseits ist dieses kleine Amelia ein Auffangbecken für Außenseiter, Ausländer einige, die es in ihren Inländern nicht hielt: sogar einen Senegalesen haben "wir" hier, einen Holzschnitzer, den die Honoratioren der Stadt, als wäre sie das berühme Buch Heinrich Manns, vom Stadttor weg- und hochgetrieben haben in den alten Ort, wobei sie ihm immerhin eine freilich nicht heizbare Werkstatt frei zur Verfügung stellten. Nun friert der schwarze Mann.
(10.50 Uhr.)
*******
„Es regnet, wie der Herr es gibt.“ Kein Sitzen auf den Stufen, also, früh im Heute, statt dessen an dem Gedicht gewurschtelt und es - >>>> soeben - eingestellt, sowie mit einem sozusagen editorischen Kommentar versehen. Dem Freund wiederum hat der Halsschmerz eine Hand in den Rachen gesteckt, weil er, der Freund, vielleicht zu weit mit offenem Mund geschlafen, was wiederum nötig war, weil gestern schon die Bronchien schimpften. Angemessene Reaktion, kann ich nur sagen, „na ja“, so aber er, „drei Tage im Jahr läßt sich ein Wetter wie dieses schon aushalten“:
.
Und aus Catania schreibt mir Uwe Schütte, ob wir am 12. beim Flug >>>> nach Innsbruck nicht zusammensitzen wollten, woraus die Neue Deutsche Schlechtschreibung ein „zusammen sitzen“ machen will: das Flugzeug als ein Knast. Dabei haben wir nicht wirklich etwas ausgefressen, jedenfalls nichts, das der Legislative bekannt wär. Um das zu ändern, vielleicht, und wieder Schulter an Schulter mit dem Duden zu stehen, schrieb ich soeben zurück:... und unbedingt auf den Fischmarkt (gleich unterhalb der Elefanten-Piazza beim Dom, einfach dem fallenden Wasser, das Ihr hören werdet, folgen und den Rufen der Marktschreier). Hier dann unbedingt Austern essen, frisch, und Seeigel, die man Euch aufschneiden und reichen wird: einfach aus der Schale löffeln. Unvergleichlich. Ihr könnt Euch auch zum Pranzo einen Fisch direkt auf dem Markt aussuchen und in einer der Platz und Gassen säumenden Trattorie bescheidgeben, welchen Ihr zubereitet haben möchtet. Allerdings ist dieser Markt nicht unbedingt für feine Gemüter: allein schon die Muscheln spritzen einen an, über anderthalb Meter hinweg, und man watet in Fischblut...
*******
Gerard Manley Hopkins liegt jetzt auch hier; Besuche bei >>>> Parallalie sind für mich, „in Sachen“ Lyrik, immer auch Bildungsaufenthalte; Youtube läßt ihn, Hopkins, hinreißend von Richard Burton interpretieren:



Dennoch wird es, für unser neues Projekt, bei Montales Finisterre bleiben: sechs (!) Gedichte hat Schulze gestern abend bereits übersetzend skizziert, indes ich selbst mit meinen Gedanken noch anderswo herumschweifte, froh darum, überhaupt in den Gedichtemodus schon mal wieder gefunden zu haben, aber eigene Verse waren mir näher. Ich beug mich auch gleich über die nächsten, diesmal freirhythmisch reimlos.

Es läutet. Von Sant‘Agostino her. Durch die Nässeschleier. (Zwei Pullover, drei Schals, Takke. Und wollene Leggings unter der Jeans: erosprall, möcht mein innrer Ironiker sagen.
*******

Prima mattina amerina: PP75, 4 gennaio 2014: Sabato. (Handke, Montale, Cummings. Und die Mauern und Notizen.)


Das Bild des Vaters, von der Mutter abgeschafft,
von dir lange gar nicht erfragt, war, so stellte sich
durch dein Heranwachsen heraus, dir eingeboren.
Wenn du dir je ein Heil erwartet hast, so von dem
Erscheinen deines Vaters. Bei dem kleinsten Vater-
Anzeichen wärst du bereit gewesen, dich auf seine
Suche zu machen.

Handke, Niemandsbucht 498.

Anfang Januar morgens in der Tür zum Cortile sitzen und lesen, beinah einhundert Seiten gelesen heute früh, mochte nicht aufhören, erst, als der Freund herauskam aus seinem Zimmer (nun imitiere ich bereits Handkes Niemandsbuchteston) und sagte, da säße ich ja tatsächlich dort, mochte ich zwar noch nicht wirklich sprechen, aber dachte bereits, daß an die skizzierten Gedichte heute zu gehen sei und daß ich meine Notate aus dem schwarzen Notizbücherl übertragen, vielleicht auch ausführen wolle, die vom Silvester >>>> unter Silvester, die von gestern unter gestern, je als Kommentar. Das will ich dann tun, aber vorher ein Wort zu den Mauern, Mauern Amelias, sagen: daß du, wenn du sie anschaust, gleichgültig, welche, das ganze Universum siehst - entgegen „der Fußgängerzone, die wie schon das ganze Wilhelmshaven wirkte“ (Niemandsbuch 492). So auch meine Frage gestern nacht an den Freund, als wir hinab zu Waldas >>>> Porcelli spazierten, um dort jeder zwei Grappe zu nehmen, was es denn sei, daß hier den Augen wohler täte, als es irgend etwas sonst in anderen Ländern vermöchte, etwas, das es nur in Italien gebe, nicht in Griechenland (wo ich freilich noch gar nie gewesen), in Spanien nicht, noch Portugal, noch in Arabien, geschweige in einer nördlichen Gegend – etwas, das uns jeden Blick, den wir an Bewohntem umherschweifen ließen, mit einem Streicheln entgelte. Und ich notierte heute früh >>>> dieses. Dazu abermals die Mauern Amelias, unter denen auch Wände verstanden sind, eine jede Materialbildern Schumachers gleich, von denen >>>> Fichte inspiriert war:
Also will ich heute spazierengehen und Mauern fotografieren, denen gegenüber ich nicht diese Fotografierscheu habe – bei mir fremden Menschen hingegen, sagte ich gestern zum Freund, ist mir immer, als betröge ich sie um ihre Seele, wenn ich die Kamera auf sie halten und abdrücken soll. Es hat etwas von Erschießen. Mauern dagegen und Wände, anders als Menschen, halten Schüsse aus, Menschen nur dann, wenn sie sie wollen. Dann aber inszenieren sie sich wie ich selbst mich, siehe oben, heute früh: Dann ist es Selbstbemächtigung (und zugleich, immer, eine Frage nach diesem Selbst, bzw. nach den Selbsten, ein tastender Erfassungsversuch unsres polymorphen Perversen).
*******
Dann will ich, wenn die Notate übertragen und eingestellt sind, an die skizzierten Gedichte gehen heute, noch vor dem Spaziergang (die Mauern werden naß sein, die Wände), und vielleicht den Béart-Zyklus endlich fortsetzen, indes es gegen Abend, wenn der Wein zugelassen sein wird und ich gekocht haben werde (Tintenfisch in eigener Tinte, Pasta dazu), zu einer Entscheidung kommen wird, welches Projekt wir, >>>> Parallalie und ich, denn nun angehen wollen; wir hatten uns gestern für Montales >>>> Finisterre fast schon entschieden; dann schlug >>>> Gogolin, über Facebook, E.E.Cummings vor, irrte aber im Vermeinen, es gebe nur Eva Hesses Übersetzungen aus dem Jahr 1958; tatsächlich hat - „natürlich“ muß ich fast schreiben – il editore Engeler im Jahr 2003 >>>> Übersetzungen von Mirko Bonné herausgebracht:
dive for dreams
or a slogan may topple you
(trees are their roots
and wind is wind)

Cummings
(10.40 Uhr.)
*******
(Aber jetzt erstmal hinab auf den Markt.)
*******
 



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