Konzerte
"Leicht muss man sein" - 2. Liederabend der Hamburger Symphoniker mit Felicity Lott und Jeffrey Tate (27.1.2011)
Liederabend mit Annette Dasch und Ulrich Naude in der Hamburger Laeisz-Halle (25.1.2011)
Die Ideen, das kränkelnde Genre des Liederabends aufzupäppeln, sind vielfältig. Etwa zeigte nunmehr auch die Sopranistin Annette Dasch ihr Geschick im Umgang mit dem Publikum, auf der Bühne nämlich des Kleinen Saals der Hamburger Laeisz-Halle. Nach Liedern von Beethoven, Brahms und Korngold, die das an diesem Abend zentral gestellte Werk von Richard Beaudoin (*1975) "Nach-Fragen" von 2008 umrankten, gab es als zweite und letzte Zugabe das schlichte und zeitlose Lied "Guten Abend, gute Nacht", bei dem das Publikum mitsingen sollte. Es ließ sich nicht lange bitten. Überraschend: Ein Bedürfnis wurde erkannt, umgesetzt und befriedigt. So anrührend verklang der interessante Konzertabend, getragen von der erfrischenden Natürlichkeit einer Sängerin, die das Publikum auch mit ihren launigen, jedoch immer informativen Kommentaren gewann. Dabei war ihr kräftiger, flexibel geführter Sopran für die Beethoven-Lieder fast zu massiv opernhaft. Überhaupt liegt dieser Sängerin eher burlesk Fetziges mehr, Überzeichnetes wie Korngolds "Old English Song" oder Beethovens "La Marmotte". Manchmal leistete sie sich Nachlässigkeit in der Textverständlichkeit. Aber wen störte das? Vielmehr bebte der ausverkaufte Saal bebte beim Schlussapplaus bis in seine Grundfeste.
Chen Reiss in Hamburg - und am 21. Februar in Berlin

Robert Schumann hatte zum Liedvortrag diese Idealvorstellung: "Das Gedicht soll dem Sänger wie eine Braut im Arm liegen, frei, glücklich und ganz, dann klingt's wie aus himmlischer Ferne." Kaum zu glauben - genau so erfüllten die Ausnahme-Sopranistin Chen Reiss mit Klavierbegleiter Alexander Schmalcz diese Vorgaben in idealer Weise. Schumann hätte seine helle Freude gehabt. Hochkultur eines Genres in höchster Ausformung - so präsentierten die beiden Weltklassekünstler Lieder von Robert und Clara Schumann, nach der Pause aus Zemlinskys Walzer-Gesängen op. 6, Alma Mahlers "In meines Vaters Garten", Gustav Mahlers "Erinnerung" und "Aus des Knaben Wunderhorn", aus Spohrs Sechs Deutschen Liedern op. 103 und Schuberts "Hirt auf dem Felsen" D 965. Chen Reiss zeigte ihr ganzes Können, begeisterte mit flexibler, farbenreicher Sopranstimme, die noch in tiefer Lage trägt, anrührt, die aber ebenso zu temperamentvollen Ausbrüchen fähig ist - immer kontrolliert, immer präzise - im Gegensatz zu leerem Perfektionismus! - immer dem Hörer zugewandt - mit den Textinhalt unterstützender Darstellungskraft und Textverständlichkeit, Leichtigkeit. Und dann ist da dieses "Himmlische", wie Schumann es nennt, das den Zuhörer ergreift, in andere Ebenen entführt, Geheimnis bereit hält, Gefühle transportiert, Menschlichkeit - auch das ist es, was Chen Reiss so unverwechselbar macht. Und trotz ihres blendend guten Äußeren ist sie natürlich, fernab von jedem Hauch von "Sex sells". Nach der Pause ergriff sie das Wort, bat um Nachsicht für die Noten, die sie auf der Bühne zur Unterstützung auf dem Notenständer postiert hatte. Charmant und souverän, mit leisem Humor, erzählte sie, dass sie Alexander Schmalcz erst zwei Tage zuvor erstmals kennen gelernt hatte. Sie sprang kurzfristig ein an diesem Abend, - und bot dennoch mit diesem sensiblen Musiker unfassbare Synergie, hoch professionell. Der Klarinettist Elmar Hönig trat schließlich hinzu, spielte die Spohr-Lieder mit, - ein weiterer Farbtupfer eines lebendigen Liederabends, der Auftakt ist einer Reihe veranstaltet von den Hamburger Symphonikern, die das Lied wieder mehr in den Vordergrund bringen soll, ohne mit erhobenem Zeigefinger pädagogisch zu wirken. Noch sind Liederabende eher ein Verlustgeschäft für den Veranstalter, auch wenn dieses Konzert fast ausverkauft war. Aber so zukunftweisend in der Präsentation, wie es hier gezeigt wurde, muss man sich um den Erhalt dieser feinen Kunstrichtung keine Sorgen machen. Der Anfang des Weges ist getan. Minutenlanger Applaus und Bravo-Rufe würdigten das Gebotene. Die Hamburger wünschen sich, das Duo bald wieder in der Hansestadt zu hören und zu sehen.
Empfehlenswert dazu die CD von Chen Reiss, eine WDR-Produktion: "Romanze", mit Liedern von Spohr, Schubert, Lachner, Mozart.
Für alle Berliner: Am 21. Februar 2011 hat Chen Reiss ihren nächsten Auftritt in Berlin, Schumann Recital, Berliner Philharmonie, mit Lesung von Gedeck und Koch.
Schumann-Liederabend mit Chen Reiss und Charles Spencer in Düsseldorg, Robert Schumann-Saal, Tonhalle, 4.12., 20 Uhr
Jan Garbarek und The Hilliard Ensemble zelebrieren das Neue Officium ODER Mit Svarovski im Berliner Dom: Der immer gleiche Klang des immer Immerschönen.

Für mich war er immer der Klang des Saxofons: Jan Garbarek, Norweger, Partner Eberhard Webers und Keith Jaretts, nach dessen und jenes >>>> „My Song” eine der Frauen meines Lebens und ich umschlungen tanzten, nicht selten, bevor wir ineinanderflossen. Das ist achtundzwanzig Jahre her. Was „Our Song” gewesen, was „Our Song” geküßt. Kompositorisch wurde aber auch das mehr als von seiner bindend süßen Schlagerkraft erst zwei Jahre später durch eines der mir bis heute herznahsten Alben dieses Jazz’ nobilitiert: >>>> Jarretts/Garbareks „Nude Ants” von 1979 mit Palle Danielsson am Baß und Jon Christensen am Schlagzeug, darin besonders die durchlaufende Improvisation „Oasis”, - eine Aufnahme, die noch einmal alles Feuer, alle Hoffnung, alles Selbstbewußtsein der vergangenen zehn Jahre nicht nur dieser Spielpartner, sondern auch der politischen, emanzipierenden Zeit in e i n e m Klang zusammennahm und dem Prozeß vertraute, indem man sich in ihn hineinwarf und frei schwamm (nein! n i c h t zusammengeschrieben!): hochgeworfen, -geschleudert von den Wellen, und man kracht hinunter, holt aus, um weiterzschwimmen; man ruft einander, hört, schwimmt zueinander hin... - da ist eine ungemeine Utopie in der Musik gewesen, der Glaube an Gemeinschaft und doch immer auch Erfahrung, daß wir getrennt sind und wie im Liebesakt momenthaft nur beisammen.


Die Positionen wurden neu verteilt, politisch; die Ära neuer Metternichs begann, denen man sich fügte, teils, weil man müde geworden war, teils, weil man eben selbst Positionen errungen hatte, die man halten und deren Einkünfte man durchaus kaufmännisch konsolidieren wollte. Wer den Aufstand noch glaubte, zog sich in sich selber zurück, entdeckte das innere Universum und wurde kosmisch daran: neue Esoterik-Bewegung, Weltmusik, all you feel is harmony. Selbst Jarrett machte da ein bißchen mit, bevor ihn die Krankheit für lange Zeit verstummen ließ und heute als ein anderer wieder dasein läßt: nach seinen Versuchen um Johann Sebastian Bach mit Improvisationen, die an die Moderne der Neuen Musik erinnern, an Hindemith etwa, jedenfalls konzentriert auf die musikalische Logik sind und skeptisch gegen den Kitsch des allzu schönen Melos.
Garbarek ging den anderen, den leichteren und einträglichen Weg. Ich hörte ihn noch im Frankfurtmainer Sinkkasten, seinerzeit einer d e r Schmieden des elaborierten Jazz; heute braucht der Saxofonist Säle. Er fand über die Weltmusik und ihre vom Unterleib gereinigte Hippie-Ästhetik das Ohr der Millionen. Der Klang, den der Mann nach wie vor zur Welt bringt, rechtfertigt das; man hört Garbarek heraus, wie man Puccinis Hand erkennt, wie man Schubert erkennt, wie man, ja, auch die Beatles erkennt oder die Callasstimme – man muß gar nicht mehr auf das Cover gucken, man braucht die Ansage keiner Moderatorin, nur das Ohr -
- aber da herrscht ein bitteres Gesetz: Um dies für die große Menge zu halten, darf man sich nicht mehr bewegen. Man hat über die Jahrzehnte Läufe entwickelt, die sie immer wieder hören will, man hat Atmosphären entwickelt, aus denen einen der Erfolg nur dann noch herausläßt, wenn einen wie Jarrett das Schicksal erwischt. Erst das, wenn man nicht an ihm stirbt, gibt einem die Kraft, sich von der Fliegengelatine, die doch allen zu süß schmeckt, wieder abzulösen und n i c h t sich musikalisch im perpetuierenden Rundlauf festzulaufen, bis man gefeiert dahingeht, aber ausgelutscht und selbstüberlebt schon seit Jahren. Die Gefahr ist so groß, weil imgrunde das Bedürfnis nach Sirup es war, was der Weltmusik ihren Erfolg beschieden: Der Sirup ist aus dem guten Gedanke einer Toleranz, die fremdeste Kulturen amalgamiert, ja einer Brüderschaft gekocht, die den Schwestern entunterleibt die Hand reicht, dareingerührt die angesagte Cleanness und ein Bedürfnis nach Klarheit, die angenehm sei und deshalb den Vorschein macht, man meditiere beim Hören. Das ist für den modernen Verstand die Schattenseite der Postmoderne; fürs immer schon sentimentale Herz aber ist sie ein Balsam. Endlich darf man kitschen, ohne auf der falschen politischen Seite zu sein. Das erinnert ein wenig an jene Intellektuellen, die >>>> bei Claudia Gehrke ganz öffentlich den sexuellen Schmuddel durchstöbern, derweil man doch zugleich ein guter Mensch und deshalb Gegner jenes Grafen bleibt, der den harten Porno benamste und ihre, so heißt es, entmenschte Industrie. Früher nannte man sowas bigott.
Bigott ist Garbarek geworden. Sein Klang verheißt uns Wahrheit, und zwar um so mehr, als seine vielen synthetischen Wege über arabische, dann schnell schon heimatliche, nordische Musiken mit ihrem an sich kühlen Nordlichtklang, der lange noch im Quintenzirkel ruhte, ihn musikalisch so verengten. Eben das mag das Volk: >>>> wenn etwas so Schönes bleibt, wie es ist. Thomas Mann nannte das Kuhstallwärme. Wenn jemand dann ein Guru ward, ist es zur Heiligkeit nicht weit. Bereits 1994 nahm sich, insofern, Garbarek der Gregorianik an oder sie sich, die soeben mit der Weltmusik koalierte, seiner. Das damals eingespielte >>>> „Officium” wurde absehbarer Weise Welterfolg, fünf Jahre später, mit >>>> „Mnemosyne”, legte Garbarek nach. Und nun also das >>>> „Officium Novum”, alle drei mit dem tatsächlich hinreißenden The Hilliard Ensemble, von dem sich das musikalische Ohr schnell denkt, man habe sich den Saxofonisten zur Garnitur, die er jetzt ist, auf die Torte geziert, weil das den Umsatz so steigert. Tut es. Jan Garbarek erinnert durchaus ans moderne Gepfiff edler Verpackungsunternehmen, die Kästchen und Geschenkpapiere teurer als die Gabe machen. Nicht jeden aber täuscht das: „Haben Sie auch eine Aufnahme des Hilliard-Ensembles ohne Garbarek?” fragte eine Konzertgängerin gestern abend am CD-Verkaufstisch. „Das tut mir sehr leid”, antwortete der junge Mann. „Wir haben zwar Aufnahmen, aber heute abend nicht dabei.” Ob man also was ahnte?
„Officium” bedeutet „Kirchendienst”, auch „Ritual”. Eben danach verlangte es die Mengen: nach einer verläßlichen Handlungs- und Selbststellungsform in der zerrissenen und sich doch von ständig Neuestem, das unsern Kuhstall gefährdet, in exponentiellem Rasen verändernden Zeit. Einer zudem, die den Privatraum zum Mord tut: Völkerschlachten auf dem Balkan, asymmetrischer Krieg, Terrorismus. Da möchte man einen Ort, an dem sich’s niederknien läßt, um Gnade zu empfangen, und sei es die des schönen Klangs, der sich zudem durchs ganz Alte bewährt hat. Zwar nahm das Ensemble bereits in „Mnemosyne” neue Kompositionen hinzu, doch welche waren das und welche sind das nun? Neben Garbareks eigenen Arrangements bezeichnenderweise >>>> Partituren des E-Kitsch-Komponisten Pärt, von dem es nicht eine einzige Komposition gibt, die nicht noch zum Ohrenschmalz die Buttercreme täte. Die schafft der beste Q-Stick nicht. Aber auch bezeichnenderweise, in dem nun neusten Kniefall, nicht wirklich moderne armenische Musik, sondern eben den traditionellen Sharakan, was „Kette aus Edelsteinen” bedeutet: uralte armenische Kirchenmusik. Legt man sich solche Ketten um wie neue, dann schmückt uns, mit Scheinschmuck, >>>> Svarovski. Das nämlich tut Jan Garbarek heute: Klangstrass verkaufen.
Denn es ist ja nicht so, daß er den Meditationen der Sharakans wirklich Neues hinzufügte, daß er sie musikalisch weiterentwickelte, ihre Themen verfolgte, ja sie improvisierte, - daß er, was ihnen so eigen ist, nämlich die morgen- und abendländische Klangwelt-Ideen ineinanderzunehmen, in eine zeitgenössische Ästhetik überführte. Wie groß wäre das! Nein, er erschöpft sich in immer gleichen, immer schönen Gesten, die nichts sind als die Referenz, ja Redundanz ihrer selbst. Er übersteigt noch Svarovski und, kann man sagen, transzendiert ihn: wozu er aus den Edelsteinen der Sharakans den Strass erst m a c h t. Dazu weicht er die Strenge des Kirchensangs auf und buttert ihn. Müßte man nicht fürchten, daß er das gut meint, hätte es ästhetisch eine beachtlich kriminelle Energie. Und weil er weiß, wie gut bei sowas der Hall kommt, zieht seine neue Tournee - von ECM „Release Tour” genannt, weil man schamhaft denn irgendwie doch noch an Wahrheiten hängt, - von Kirche zu Dom und zu Kirche.Da strömen die Gläubigen h i n, nahezu jeden Alters wie gestern abend und jeder Schicht, um den Klang-Erlöser zu hören, Intellektuelle wie Angestellte, Studenten wie ihre Räte; das Konzert war derart überbucht, daß es im Februar am selben Ort wiederholt werden wird: so langweilig war es. „Haben Sie nicht ein Konzert mit Hilliard allein?”
Adorno monierte an Wagner, man fühle sich von seinen Leitmotiven ständig am Ärmel gezupft. Bei Garbarek ist das Ärmelzupfen für sich geblieben: jede Geste eine leere Monade, die dennoch angebetet wird, oder deshalb. Denn aber -: Ich... ach! liebe seinen Klang noch immer.
Jan Garbarek
The Hilliard Ensemble
Officium Novum
ECM New Series 2125
CD 476 3855
Furor, Tanz und Nacht: Mahlers Siebte. Das Konzerthausorchester Berlin unter Lothar Zagrosek. Konzerthaus Berlin. 10. und 11. September 2010.
In einem gar nicht ungewissen Sinn hat Alban Berg die Arbeit Gustav Mahlers fortgesetzt, das war gestern abend deutlichst zu hören: wie die Klänge selbst in der 12tönigkeit verrutschen, wie von ferne Soldaten marschieren, aber ein tiefer Wald ist dazwischen, bei Mahler: bei Berg hingegen ein Kinderohr, das die „Drei Bruchstücke aus der Oper Wozzeck” ins „Hopphopp” des kleinen Jungen der gerade getöteten Mama verlegt; noch weiß der Junge davon nichts. Es ist ein so naheliegender wie beklemmender Einfall, die für ein Konzert von 1924 zusammengestellten halbsinfonischen Gesangsszenen der ein gutes Jahr später uraufgeführten Oper vor einer Aufführung von Mahlers zwanzig Jahre zuvor entstandenen Siebenten Sinfonie aufzuspielen - ich verwende dieses Wort bewußt, weil das bei Mahler brechende Humorige, das bei Berg dann zerbrochen i s t, >>>> diesen ganzen Konzertabend prägt, und bei beiden, Berg wie Mahler, ist Rückschau, Erinnerung an Verlornes; Berg aber erzählt über Büchner, daß das Verlorne nur glänzte, nicht Gold war. Phänomenal dabei, wie es der Sängerin des Abends, Christiane Iven, gelingt, den Kinderton ganz nah an den Ton der verlorenen Marie zu bringen: es wird dieselbe Klage geführt. Durchsichtig wird das vom Konzerthausorchester interpretiert, feinsinnig: Berg lächelt in dieser Musik wie ein Leidender, der es gelernt hat, dem es Haltung wurde, sich „zusammenzunehmen”: keiner fährt hier mehr auf mit jugendlicher Energie – wie Mahler es, als wollte er zurückreißen, was verlorengeht, noch tut; als packte er es um die Hüften und walzerte mit ihm in wildem Reigen herum: die Zentrifugalkräfte aber seiner Musik schleudern es unaufhaltsam, schließlich, davon. Die auftrumpfende Triumphalgeste des Finales, die Mahler von Tschaikowski hat – nicht wenig erinnert hier an dessen Fünfte - kann nicht täuschen, ja macht den Verlust nur um so schmerzhafter. „Vorwiegend heiteren, humoristischen Inhalts” sei, hat Gustav Mahler an seinen Verleger geschrieben, diese Sinfonie. Aber bereits die Kuhglocken, in Wiederaufnahme des Verklärungsmotivs aus der Sechsten, sind hier nur noch flüchtige Beschwörung, Echo des schon Zerstörten, und wirken, anders als in der Sechsten, wie Fremdkörper, wenn man dem Orchester nur zuschaut: das Beschworene ist längst so falsch geworden wie das „Lippen schweigen, 's flüstern Geigen” Franz Léhars, das Mahler in den Endsatz, von acht auf zwei Takte zusammengezogen, immer wieder hineinzitiert: dem Hörensagen nach sei es der Lieblingswalzer des Ehepaars Mahler gewesen, hier nun mit wuchtigen Bläsersätzen konfrontiert, die ihrerseits, so massiv sie aufdröhnen, in den Endtanz gerissen werden. Hinreißend, wie das Konzerthausorchester das brüllen, säuseln, wirbeln läßt. Ich habe diesen letzten Satz ein einziges Mal bereits in dieser Geschwindigkeit, diesem Dahinrasen, gehört, nämlich von der Jungen Deutschen Philharmonie unter Gary Bertiny. Das liegt fünfundzwanzig Jahre zurück und ist mir unvergessen. Ja, dachte ich gestern da wieder, genau so muß das sein, und besser, man riskiert für Kurzes, daß sich ein Anschluß quer durchs Orchester verpaßt, besser, daß man dann mit dem Taktstock die Leute, die schon von den Zentrifugalkräften, fast notwendigerweise, voneinander weggerissen werden - noch sind die Arme ausgestreckt, noch sind wir nicht hilflos, eine Hand h ä l t noch -, besser, man reißt sie in den Tanz also wieder zurück, denn die Hand, noch, läßt nicht los, als daß die Musik auf funktionale Perfektion noch achten dürfte und dabei Geschleppe riskiert. „Nicht schleppen!”: das steht sehr sehr oft in den Partituren Mahlers über den Zeilen; er wußte genau, worum es hier geht: w a s das ist, das ausgedrückt werden soll. Zagrosek befolgt es bis in die schärfste Gefährdung, dem Werk und nicht einem Ruhm des dirigentischen Virtuosen verpflichtet. Nicht zuletzt das hat den Abend derart lebendig gemacht, auch verzweifelt: Spiegel der Sinfonik wie des interpretierenden Selbstverständnisses Zagroseks.
Das Konzerthausorchester Berlin ist mahlergeschult, nicht zuletzt seines ehemaligen Chefs Eliahu Inbals wegen, der in den Achtzigern mit dem RSO des Hessischen Rundfunks eine d e r Referenzaufnahmen des mahlerschen Gesamtwerks erarbeitet hat. Seinerzeit war sie sensationell, und auch bei ihm war die Siebte, ich erinnere mich, ein Glanzstück. >>>> Denon hat sie auf CD publiziert. Möglicherweise ist sie überhaupt d i e Sinfonie, in der Mahlers Kunst am wenigsten verstellt zum Ausdruck kommt - weder von romantisch auftrumpfender Energie pathetisch geführt, noch von der Ironie des Praktikers, geschweige durch die Erkrankung seiner letzten Jahre und der gescheiterten Ehe; einer Melancholie, die den brüchigen Abschied im „Lied von der Erde” und dem streichersatten Finalsatz der Neunten komponierend verklärt. Jens Schubbe, in einem kleinen ausgezeichneten Aufsatz des Programmhefts (das sich diesmal leider nicht als pdf herunterladen läßt) interpretiert die Siebte als „surrealistische Musik”; das mag für die scherzesken drei Binnensätze gelten, obwohl auch in ihnen das eigentlich „Unheimliche” der Romantik so durchschlägt wie in den frühen Wunderhorn-Sinfonien; dieses aber, im Gefolge des Symbolismus, hat auf den Surrealismus stark gewirkt. Doch die Ecksätze des Stücks nehmen tatsächlich „La Valse” von Ravel fast fünfzehn Jahre mächtig voraus; spannenderweise hatte Ravel die musikalische Idee quasi in derselben Zeit (1906), da Mahler die VII. komponierte (1904/05), die dann 1908 uraufgeführt worden ist. Von künstlerischen Identitäten, die voneinander aber kein Wissen haben, ist die Geschichte aller Künste bis in die Gegenwart voll.
Wer die Zeit hat und der Musik ein leidenschaftlich Verschworener ist, gehe heute abend hin; und wenn er gestern da war, oder sie, dann noch ein zweites Mal, auch wenn, nebenan, das >>>> Berliner Musikfest mit Berio lockt.
Konzerthausorchester Berlin.
Christiane Iven. Lothar Zagrosek.
Alban Berg, Drei Bruchstücke.
Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 7
Fr, 10.9.2010, 20 Uhr.
Sa, 11.9.2010, 20 Uhr.
>>>> Karten
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Thomas Hampson in Hamburg - Schleswig-Holstein Musik Festival, 14. Juli 2010, Hamburg, Laeisz-Halle: Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5 cis-Moll, Rückert-Lieder, Orchesterakademie, Leitung: Christoph Eschenbach
Dieses Konzert steht am Amfang einer langen Reihe von Musikereignissen, die in Hamburg zu Ehren Gustav Mahlers gegeben werden, der vor 150 Jahren geboren wurde und dessen Todestag sich 2011 zum 100. Mal jährt.
Alma Mahler - Ein Frauenporträt - 20.6.2010 Vilshofen im Rahmen der 58. Festspiele Europäische Wochen Passau (10. Juni bis 18. Juli 2010). Das Ungeheuer Muse (20).
Ein Flügel, zwei Stühle mittig, rechts Tisch und Stuhl mit Leselampe vor schwarzem Vorhang. Kollektive Konzentration der auftretenden Künstler erfasst das Publikum im nüchtern-modernen Raum des Atriums in Vilshofen - übergangslos - der Anfang eines ungewöhnlich dramatischen Abends. Die Schauspielerin Angela Winkler nimmt ihren Platz ein, schwarz gewandet, öffnet behutsam das Buch mit ausgewählten Texten von Alma Mahler, die ihre Liebe zu Zemlinsky und Gustav Mahler skizzieren, um ihre Schwierigkeiten kreisen zu trennen zwischen intellektuellen, künstlerischen, erotischen, sexuellen Impulsen, sie zu zähmen - oder ihnen eben bewusst oder unbewusst nachzugehen. Es gab damals im Fin de Siecle eine Ausnahmesituation. Sie lebte in einer Zeit, in der sie auf Konventionen pfeifen konnte, dazu das entsprechende Umfeld hatte. Männermordend? Sie war wohl selbst langfristig Opfer ihrer Sinnlichkeit. Femme fatale ist die Bezeichnung, die hier oft verwendet wird - eine Frau, der keiner widerstehen kann, bei der die Männer immer den Kürzeren ziehen. War sie deswegen schwach, moralisch leichtfertig oder oberflächlich? Und waren die Männer wirklich immer Verlierer? Das wäre sicherlich zu kurz gegriffen. Sie hat sich einfach nur erlaubt, ihre Gefühle zu leben, - das zu machen, was die bürgerlichen Frauen nicht wagten, eventuell davon träumten - mit aller Lust und Schmerz. Schmerz Almasvor allem in den Armen ihres späteren Ehemannes Gustav Mahler, der da versagt, wo ein Mann meint, nie versagen zu dürfen - ein hartnäckiges Tabu-Thema, das wohl immer eines bleiben wird. Alma hat ihre Erfahrungen und Erlebnisse poetisch, dezent, aber überdeutlich und ehrlich in Worte gekleidet - und Angela Winkler hat die so intensiv und bühnenpräsent vermittelt, dass man sich sogartig zurückversetzt fühlte. Mit mädchenhafter Stimme, zwingend klarer Diktion liest sie ihre Passagen der ersten Verliebtheit der Saloniere, die ihre Beziehung zu Zemlinsky nachzeichnet, - crescendiert, an Nüchternheit und Härte zulegt, als Mahler in Almas Leben tritt und die das Thema Ehe reflektiert, das sie zu sehr anstrengt. Treu kann sie nicht sein - ihm ebenso wenig wie ihren späteren Ehemännern Walter Gropius und Franz Werfel. Alma schreibt so intim, dass man es manchmal kaum noch wissen will. Winkler gestaltet so intensiv, dass die Luft bebt. Und als sie zum Flügel geht und Almas Vertonung von Gustav Falkes "Laue Sommernacht" selbst intoniert, ist die Illusion perfekt: Alma steht vor uns. Gleichsam lebendig wird sie durch die Interpretation ihres Liedes "In meines Vaters Garten", das die Sopranistin Chen Reiss in all seiner fast volksliedhaften Einfachheit gefühlvoll singt, mit weichem Timbre und schnörkellos ergreifender Leichtigkeit, begabt mit der Unmittelbarkeit und Wachheit, die direkt ins Herz trifft. "Ich genieße es, dieses Lied zu singen," sagt die Sängerin im Interview. "Es ist noch sehr romantisch geschrieben und sehr lyrisch, bequem für die Stimme, fast italienisch, auch wenn es auf Deutsch ist - der Bogen ist quasi ganz italienisch. Das soll nicht heißen, dass moderne Komponisten nicht gut für die Stimme komponieren. Es ist nur manchmal eine echte Herausforderung, etwa ein Richard Strauss-Lied wie 'Amor' zu singen." Beileibe keine unüberwindliche Hürde für Chen Reiss. Auch das interpretierte sie technisch brillant, führte ihre flexible Sopranstimme stets souverän durch alle Klippen, sicher in den Spitzentönen, glasklar intonierend, kraftvoll im Forte, temperamentvoll, mitreißend, hier einen Kontrapunkt setzend mit "männlicher" Komponierweise (gern: höher, schneller, weiter) zu Almas einfachen, weiblich sensitiven Stücken, von denen insgesamt nur siebzehn erhalten sein sollen - vier an diesem Abend zu Gehört gebracht wurden. Mit Paul Armin Edelmann zauberte sie fast Operettenatmosphäre mit Gustav Mahlers "Starke Einbildungskraft", "Trost im Unglück" oder "Wie komm ich denn zur Tür herein" von Brahms. Mit wendiger, männlich-sonorer, ungemein klangschöner Baritonstimme, bestechend makellos in Diktion, Musikalität und Stimmführung, beglückend gefühlvoll lieferte er seinen Beitrag zum Gelingen der Veranstaltung. Sein erster, fast jenseitig klingender schöner Gesangston bereitete den Weg für den Sog des Abends - und just er beschloss ihn mit Gustav Mahlers "Nicht Wiedersehen". Einige Zuschauer konnten die Tränen der Rührung kaum verbergen. Es fehlte aber die Zeit, ihr nachzuhängen. Abrupt nach dem Verhallen des letzten Tons erlosch das Licht, ein knappes Zeichen: Schluss, aus. Und das könnte als Aufruf nach Fortsetzung verstanden werden. Denn Alma führte ein langes Leben, in dem Gustav nicht der letzte Mann war, dem sie nahe stand. Der Abend kristallisierte den Aspekt der Menschlichkeit einer ganz normalen Frau heraus, entbehrte durch die hochklassige Präsentation und Textauswahl jeglicher Sensationslüsternheit und Affekthascherei - einzigartig punktgenau. Einer, der nicht unerwähnt bleiben darf, ist der Pianist Stephan Matthias Lademann, der das musikalische Gesamtgeschehen im Hintergrund begleitete - tragend und unersetzlich wie der Bassist eines Jazz-Quartetts. Der Applaus des Publikums fiel großzügig, die Gesamtleistung erkennend und angemessen würdigend, aber vergleichsweise verhalten aus. Alles wirkte eher nach innen, Betroffenheit. Zugaben und Dacapo-Rufe verboten sich da natürlich.
Chen Reiss und Paul Armin Edelmann werden am Samstag, den 13. November 2010, 20 Uhr, in der Kölner Philharmonie gemeinsam in der "Fledermaus" (konzertant) auf der Bühne stehen. Es spielt das Rundfunkorchester Köln, Leitung F. Haider. Ab September stehen weitere Auftritte der Sängerin u.a. in Düsseldorf an. Genaue Termine demnächst auf ihrer Homepage.
Gerade erschien die Pantheon-Ausgabe von Oliver Hilmes, "Witwe im Wahn - das Leben der Alma Mahler-Werfel" (Original-Verlag Siedler), ISBN 978-3-570-55112-7. Wer darin Erhellendes über ihre Kompositionen erfahren möchte, wird enttäuscht sein. Nur ein kleiner Absatz geht darauf ein. Das Buch legt dagegen in aller Breite ihren hoch neurotischen Charakter dar - leider oft voyeuristisch.
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