Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Bis Okt. 2017 verboten)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Seit Okt. 2017 wieder frei)
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Litblog-THEORIE

Irdische Kosmologie. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (71).

Das Literarische Weblog steht für ein fortgesetztes, fließendes Denken, das nicht so tut, >>>> als wäre es ‚rein’.

(Also: Eines, das dem ‚wissenschaftlichen’ Ansatz, es gebe nebensächliche Bestimmungen, die von wesentlichen zu subtrahieren seien, scharf widerspricht. Vielmehr schaffen die nebensächlichen Bestimmungen den Bedeutungshof der wesentlichen Aussagen, er überhaupt gibt ihnen den Geschmack und den Geruch und damit letzten Endes Wahrheit: sofern ‚Wahrheit’ etwas ist, das sich nicht nur formal bestimmt, sondern wirkend mit irdischen, ‚realen’ Umständen verbunden ist. Und nur dann auch wirken k a n n. Das bedeutet aber nicht, daß nun die formale Bestimmung von etwas unwesentlich sei, sondern die Form von etwas (sagen wir: die zentrale, übertragbare/allgemeingültige, ‚wissenschaftliche’ Aussage) wird in einer solchen Perspektive zu einem gleichberechtigten Moment der Wahrheitsfindung; es wäre restlos falsch, wiederum das Abstrakte geringzunehmen. Sondern Deduktion und Liebe, Sonne, Steine, Geschlechtsteile, Blicke, Götter und Gott, Gras, Exkremente, Kunst, Kitsch, Geburt, das Kalkül des Natürlichen Schließens, Aristoteles und die Bundesgesetzgebung, Maniküre, Schlachthäuser und der Irakkrieg, Esoterik und Rechtssprechung, die Hoffnung usw. sind alles gleichberechtigte Elemente von (menschlicher) Welt und aufeinander bezogene - mit >>>>Whitehead gesprochen: - entities; mit den Bamberger Elegien gesprochen: Wassermoleküle in der Regnitz. Und um das noch zu verstärken: weitere Elemente dieses Flusses sind sowohl die Versuche, dem allen eine Ordnung zu geben, wie jene, diese Ordnung zu torpedieren. Das wird im Literarischen Weblog sowohl poetisch als auch denkerisch zu gestalten versucht. Deshalb auch sein insistierender Anteil des "Privaten". )

>>>> 72
70 <<<<

Von einem und an einen Redakteur. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (69).

JS Vor allem aber möchte ich Sie freundlich bitten, nicht jeden unbedeutenden Satz aus unserer redaktionellen Korrespondenz gleich ungefragt auf Ihre Website zu stellen. Ich bin Ihnen wegen der jetzt da stehenden Fitzel nicht böse, aber lassen Sie uns doch bitte jetzt mal unsere ****-Diskussion starten und die erst dann veröffentlichen, wenn sie fertig ist! Okay?ANH (…) ich führe ein Arbeitsjournal, das meine tägliche Arbeit begleitet und Produktionsprozesse aufdeckt. Dazu gehört notwendigerweise auch der eine und andere Fitzel dessen, was mich während der Arbeit begleitet und mir während der Arbeit zustößt und mich während der Arbeit beschäftigt. Nicht alles stelle ich ein, dazu ist kein Platz, aber einiges. (Notwendigerweise müßte jetzt auch d i e s e r Korrespondenzpartikel hinein.) Und zwar geht es mir darum, einigermaßen zu dokumentieren, w i e etwas entsteht. Was dann später als Fertiges dasteht, als Buch, als Artikel, als Hörstück, ist wiederum etwas anderes und gehört dann n i c h t mehr in Die Dschungel. Aber der kreative P r o z e ß. Auch Irrtümer gehören da hinein, auch Mißlungenes oder später Verworfenes.
Daß dieses Unternehmen ein in seiner Radikalität bislang einzigartiges ist, ist mir genau so bewußt wie, daß Die Dschungel eben darin ihren Wert und ja nicht zuletzt deshalb solch enorme Zugriffszahlen haben und unterdessen auch akademisch diskutiert werden. Eine redaktionelle Schutzzone gibt es nicht; es gab auch lange keine private. Das hab ich geändert, weil ich nicht jemanden Privates, die privat b l e i b e n will, mißbrauchen möchte. Bei redaktionellen und anderen Arbeits-Belangen geht es aber n i e um Privates. Auch nicht bei Verlagsverhandlungen, die sich immer ö f f e n t l i c h niederschlagen und zu öffentlichen Kulturinhalten werden.

>>>> 70
68 <<<<

Die Dschungel öffnen. Abermals das Tagebuch, nun vielstimmig. Zum Realitätsbegriff als einem der Wahrnehmung. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (68). Experiment Ficken (3).

Daß jetzt auch >>>> findeiss direkt in Die Dschungel eingreift - gefällt mir ausnehmend, vor allem auch mit dem Link über seinen Nick {der kein Nick, sondern Klarname ist}. Vielleicht wird der Zeitpunkt bald kommen, an dem ich Die Dschungel ö f f n e - für einige wenige, die dann ganz unabhängig von mir eigene Beiträge schreiben und ohne mein Placet in Die Dschungel einstellen dürfen. Das setzt ein sehr hohes Vertrauen voraus, aber wäre letzten Endes genau das, was Die Dschungel a u c h repräsentieren wollen: künstlerische und persönliche Vielstimmigkeit. Voraussetzung ist dafür ein hohes Niveau aller Beiträger. Und ihr gestaltender Wille.
Unter dieser Voraussetzung ließe sich >>>> das Tagebuch wieder aufnehmen: als eine Schriftenreihe im Netz, in welcher die persönlichsten Geschehen, aber unterschiedlicher Menschen, veröffentlicht würden, neben- bzw. untereinander. Allerdings könnte kein Leser sich je sicher sein, ob darunter nicht auch literarische Figuren sind, die von uns, den Tagebuchschreibern, erfunden und vor den Augen der Leser entwickelt werden. Da ich >>>> aus erklärten Gründen als Autor des Tagebuches zurückgetreten bin, ohne doch die Lust am Tagebuch verloren zu haben, wäre ich für die Gestaltung solch einer Fiktion der allererste Kandidat. Und die Dschungelleser gerieten in die Versuchung, auch tatsächliche Tagebuchschreiber für meine* Fiktionen zu halten. Das wiederum sicherte die anderen Beiträger, setzte ihnen die Maske eines insgesamt Erdichteten auf – weshalb sie ganz besonders frei agieren könnten.

{Das Possesivpronomen ist beliebig!}
[Poetologie.]

>>>> 69
67 / Experiment Ficken 1 <<<<

„Experiment Ficken“ (1). Zu „Ficken“ und „Pornokunst“. Rezeptionspsychologie. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (67).

Nun ist >>>> d a s* auf nahezu 10.000 Leser gekommen, doppelt so viele wie >>>> d i e s e s. Andere nicht direkt sexuell konnotierte DschungelBeiträge hingegen schaffen die 4500er Grenze n i c h t, was einerseits aufgrund der kaum zählbaren Lock- und Verweiswörter, die aus den unterdessen 7143 DschungelTiteln auf zum Beispiel Google wirken, als Leser-Diversifizierung verständlich ist, andererseits >>>> die Gegenwart des bleibenden Tieres erhärtet. Denn die Lust an - und sei’s nur vermeintlicher - Pornographie ist ja, wie Sexualität insgesamt, ein Reflex der E r d e. Insofern ist es unabdingbar und gut, sie in nahezu allen Bereichen auch des Denkens nicht nur nicht zu verleugnen, sondern allgegenwärtig im Auge und Herzen zu haben; tatsächlich treibt auf der Rezeptionsseite offenbar s i e das Netz an, wie es auf Seiten der Produktion Militärforschung und Polizei-, bzw. Sicherheitsapparat tun, bzw. deren Gegenkräfte durch zivilen ‚hackenden’ Ungehorsam. Es bewahr(heite)t sich der Venus’ Verbindung mit Mars – eine kulturell ungebrochene menschliche Kontinuität von ganz ähnlicher Valenz wie die Paarung perfekter Schönheit (und Perfektion überhaupt) mit Tod. Lediglich die Ausprägungen differieren, also w a s als erotisch, bzw. schön erlebt wird; das Phänomen selbst b l e i b t. Was übrigens beruhigen kann, weil es bedeutet, daß uns die Verbindung mit der Herkunft noch nicht verloren ging. Jede Diffamierung dieses Sachverhalts als ‚Sexismus’ ist fatal.
Um neue Leser zu animieren, scheint es also geschickt zu sein, j e d e n neuen Netz-Artikel gerade einer Literarischen Publikation möglichst bereits im Titel mit dem Beiwort „ficken“ zu versehen – ein Experiment, das ich nunmehr für ein paar Wochen durchführen und anhand der referrer-Statistiken veri-, bzw. falsifizieren will. Das ist k e i n ironisches und schon gar kein meine tatsächlichen und/oder möglichen Leser moralisch entwertendes Unternehmen. Sowieso nicht, da Die Dschungel von allem Anfang an auf der Gegenwart und Notwendigkeit eines nicht-sublimierten Eros’ beharren. Vielmehr wollen wir wissen, inwieweit diese großartig-irdische und zugleich circe’sche Lockung fähig und willens ist, sich auf bewußtes Terrain zu begeben, um darin intellektuell und überhaupt fruchtbar zu werden (‚reiner’ Netz-Sex ist hingegen infertil). Und ob sich möglicherweise - und wenn, welche - Diskussionen ergeben. Dies liegt ganz in der offensiven Linie Der Dschungel, Verdrängungen aufheben zu wollen und den verschleiernden Mechanismen entgegenzuwirken: Dazu s t e h en, was man ist. Und es g e r n sein. Es s t o l z sein. (Interessant dabei ist allerdings die Allgemeinheit des Suchbegriffs: Wer i s t das, der in Suchmaschinen das Wort ‚ficken’ eingibt, anstatt bei dem, was er - oder sie? - sucht, präziser zu sein?)

[*: Per 2. 4. 2009: 28.905 Zugriffe.]

(Experiment Ficken 1).
66 <<<<

Dichtung als Beruf. Kleine Theorie der Literarischen Bloggens (66).

Sehr fraglich, ob, daß einer Dichtung zu seinem Beruf macht, noch von Zukunft sei; dies war sie ohnedies nur in einer kurzen Spanne - seit es ein (mehr oder minder feudales) Mäzenatentum nicht mehr gibt und die gesellschaftliche Aufgabe des bürgerlichen Mäzens an die Öffentliche Hand überging, so daß Kunst sich der Demokratie unterstellte. Doch seit eben dann gebietet über Für und Wider die repräsentierte Abstimmung und, nach den Dynamiken des Marktes formuliert, die Nachfrage. Daraus ergibt sich ganz unmittelbar ein Focus auf mainstream. Rein nach Profitabilität betrachtet, schädigt jede andere, schädigt jede gegenüber ihrem Absatz rücksichtslose Kunstform das Unternehmen, das sie vertritt. Marktwirtschaftlich h a t darum ein Verlag davon abzusehen, ‚schwierige Bücher’ zu veröffentlichen – sie haben allenfalls noch insoweit Wert, als sie dem Unternehmen Aura verleihen. Der „schwierige Autor“ wird dann zum Werbeträger, und seine Bücher gehören entsprechend im marketing abgerechnet: als „Werbungskosten“, nicht etwa als Teil der auf Gewinn kalkulierten Produktion.* Im Gegenteil muß sie vom versteuerbaren Umsatz geradezu subtrahiert werden.
Insofern trägt ein marktwirtschaftlich orientiertes Verlagsunternehmen g e r a d e in der Demokratie notwendigerweise zum E n d e der Dichtung bei. Allerdings kann der Verlag seinerseits mäzenatisch wirken; es gab Verleger, die dafür bekannt sind. Im Rahmen eines Umbaus persönlicher Verlegergeschäfte zu in Konzerne eingebundenen Unternehmen fällt indes genau das weg, weil diese selbst nicht etwa persönlich-autoritär, sondern wie jedes andere arbeitsteilig von Managern geleitet werden, die ihrerseits Abstimmungsprozessen unterliegen. Dies wiederum führt gleichfalls zum Ende eines rein-kulturell bestimmten Kunstauftrags. Zwar hat den die Öffentliche Hand übernommen, aber sie wiederum ist ganz besonders demokratisiert und muß das auch sein. Stimmen indes zwanzig Leute über die Güte eines Kunstwerkes ab, werden die m i t t l e r e n Werke am Leben erhalten, der Durchschnitt. Der aber ist gerade unkünstlerisch (näher beieinander liegen das Miß- und das Gelungene, und zwar durch das Risiko, das sie trugen).

Hier nun findet das Literarische Weblog seine Funktion. Die wichtigste Bestimmung dabei ist seine Ablösung vom Markt, also daß es einerseits höchst eigenwillig, andererseits von vorneherein als allgemein, d. h. allgemein zugänglich publiziert wird. Deshalb dürfen keine Kosten damit verbunden sein, auch dann nicht, wenn ein Kunstwerk entsteht und entstand. Der Eigentumsbegriff und -sachverhalt, den das Urheberrecht aus dem Interesse sowohl an der Rendite als auch am Wohl der Rechteeigentümer zunehmend streng formuliert, wird vom Literarischen Weblog als einer für alle prinzipiell offenen Quelle („open source“) unterlaufen. Dabei unterläuft es aber eben auch die Wohlfahrt des Künstlers: Er begibt sich, indem er Kunst als Allgemeines begreift, der Grundlagen seiner ökonomischen Existenz. So daß es ausgesprochen fraglich ist, wie lange er ein solches Projekt durchhalten kann - nämlich u m so fraglicher, je entschiedener (mit je mehr Aufwand an Zeit und Kraft) er es durchführt. So gerät er in Konflikt mit sich selbst: seine Arbeit mit weniger Perfektion gestalten zu müssen, als er könnte, sie also verraten, wenigstens vernachlässigen zu müssen, wenn er denn persönlich überleben will (er muß sein Geld anderweitig verdienen). Damit geht der Kunstanspruch ganz genau so verloren. Es sei denn, die Leser trügen, völlig abgelöst von ihren Zahlungen an die Öffentliche Hand, den Künstler direkt als einen, der für ihre kulturelle Kontinuität als auch Neuerung einsteht. Das wäre, wohlgemerkt, k e i n mäzenatisches Verhältnis, sondern in sehr basalem Verständnis eines des Tauschs, freilich ohne besteuerbaren Mehrwert. Denn anders als Werke der Bildenden Kunst können zwar Bücher, nicht jedoch Dichtungen gesammelt und nach entsprechender Wertsteigerung mit Gewinn wiederveräußert werden. Weil sie eben n i c h t-materiell ist, ist Dichtung nie original und kann nicht Fetisch werden. Deshalb geht jedes Urheberrecht an ihr fehl. Das ist zugleich ihre Chance wie die Crux ihrer Schöpfer. Das Literarische Weblog gefährdet die Dichter, doch garantiert deren Dichtung.

[Poetologie.
Urheberrecht.]

[*) Dies funktioniert aber nur dann, wenn sich ein Autor solcher Bücher allgemeiner Anerkenntnis der Vermittler erfreut, etwa der Literaturkritik. Ist dem nicht so, kann auch die „Werbungsausgabe“ letztlich nicht gerechtfertigt werden.]

65 <<<<

Spare in der Zeit. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (65).

Man erinnere sich, daß Goethe irgendwo notiert, das Poetenalter, an neuen Ideen arm, schaue nach den Notizen der Jugend und führe die dann aus – mit einem Geschick, für das der erwachsene Poet oft keine Zeit habe – zu sehr drängten die Arbeiten, an denen er da sitze, und fesselten all seine Aufmerksamkeit; in der Jugend hingegen habe der Poet noch nicht Formkraft genug: er sei da seinen eigenen Ideen formal oft gar nicht gewachsen; um es zu werden, müsse er erst noch gehörig, um es mit Karl May auszudrücken, durch >>>> die Geisterschmiede von Kulub hindurch („Der Schmerz beginnt sein Werk, der Schmied, der Meister“). - nämlich durch das bis ins Alter entstehende Werk. Erschöpfe sich endlich der Reichtum der Ideen, vielleicht auch: docke eine Müdigkeit an, ein Verlust an Wille, vielleicht auch ein mit Distanz verbundenes Desinteresse, das bereits das Ende in den Blick nehme, dann werde es Zeit, nach den alten jugendlichen Notizen zu schauen. Dann erst könne in Angriff genommen werden, was so viel früher skizziert worden ist. Gleichwohl werde die Aufgabe in der Jugend g e s t e l l t, sie habe nicht nur r e c h t, sondern sie bewahre dem Alter das Feuer, das in solchen jugendlichen Ideen glimmt. Und sei nun (aber ich erinner mich nur; Erinnerungen sind, wohlgemerkt, aus Geschehenem und Weitergedachtem, sich weiter-Denkendem Weitergeträumtem, gemischt) endlich bereit zu brennen. Vielleicht lächelnd, vielleicht grimmig entfacht der Alte das Feuer nun, schürt es, bewacht es. Dies schafft dann, denk ich mir, den speziellen Klang eines Alterswerks (Beethoven, späte Streichquartette, Mahler, Das Lied von der Erde, Nabokov, >>>> Ada or Ada – einer der größten Romane, die je geschrieben wurden, Lolita wird ganz blaß dagegen): wenn die Verpflichtung, die die Jugend gab, sich in der Technik, dem Handwerk, des Alters erfüllt: da kommen dann Glut und Wissen zusammen. Der Character eines Alterswerks ist der einer leuchtenden Ambivalenz, einer Unmöglichkeit auch: was sich die meisten Menschen als Abgeklärtheit kultivieren, hinter der sich doch oft nur schale Resignation verbirgt, wird energetisch.
Das Literarische Weblog nun sammelt ebenfalls solche Ideen: man kann, liest man es von Zeit zu Zeit stichprobenartig durch, Hunderte von Ideen finden, die skizziert sind, die vielleicht auszuführen schon begonnen wurden, die dann aber abbrechen und scheinbar brach liegenbleiben. Das wirkt nach mangelnder Konzentration, nach Arbeitsschwäche, nach Unentschiedenheit. Sofern aber zugleich andere Werke entstehen (hier ist es ARGO, hier sind es die Hörstücke, hier ist es der Erzählband usw.), kann der Leser finden, wie sich die Konzentration g e r a d e konzentriert und dennoch nicht davon abläßt, immer wieder Neues zu beschreiben zu skizzieren und ihm auf kürzere Zeit je zu folgen, bis doch die eigentliche Arbeit wieder aufgenommen wird. Liest der Dichter im späteren Alter sein Literarisches Weblog dann selbst, drängt sich ihm nicht nur das Zurückgelassene mit alter Kraft auf, sondern auch sein Zusammenhang, etwa durch die Form eines parallel geführten Tagebuchs – und er wird, so müde er dann auch sein mag und der Rücken tut schon so weh, abermals aus dem Vollen schöpfen können. Der Unterschied zu konventionellen, überkommenen „Notaten für später“ liegt in der Einbettung in seinerzeit wirkende Umstände. Das Alter neigt neben der Verbitterung zur Verklärung: Beidem schiebt das Literarische Weblog mehrere Riegel vor. Es verpflichtet den alten Dichter sehr viel mehr zur Wahrhaftigkeit, als irgend ein goethesches Jugendnotat das vermöchte.
So etwas, wenn man es frühzeitig sieht, will organisiert sein: Deshalb empfiehlt sich die Verwendung von Kategorien (>>>> „Projekte“, >>>> „Poetologie“, >>>> „Frauen und Männer“ usw.), nach denen der Alte später einmal wird suchen können. Er wird dann, sein bisheriges Werk überschauend, finden, wo noch etwas fehlt und welches Mosaikstück in das Gesamtbild noch eingefügt werden muß. Oder wo sich etwas aus unbewußten Gründen vergaß. Einfügungen, wie etwa >>>> EA Richter, sind dabei prinzipielle Handwerksaspekte, die sich in den, sagen wir, „reifen“ Jahren erlernen.

[Das Literarische Weblog ist, s o gesehen, ein Handwerkszeug, das, wie die Arbeit am Computer, dem ä u ß e r l i c h e n Material einen niederen Rang zuweist und sich aufs Innen, die Inhalte und ihre Gestaltung, ganz besonders fokussieren läßt. Sämtliches „Wo habe ich das nur notiert?“ entfällt, denn vermittels eines primitiven Suchbegriffs läßt sich das Verlorene jederzeit wiederfinden: Die >>>> Konkordanz, ein literarwissenschaftliches Instrument, wird zum leichtgängigen Element der Dichtung selbst. Auch das zeichnet die Kategorie der „Selbstreferentialität“ sowohl in der Postmoderne als auch in Der Dschungel aus.]

[Poetologie. Konkordanz. Selbstreferenzialität.]
>>>> 66
64 <<<<
[Berlin, Kinderwohnung Küchentisch.]

Weiters zum Öffentlichen Tagebuch. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (64).

Der Stachel ist nicht so sehr, daß ausgesprochen wird, was sich verschweigen soll. Das ist a u c h eine Seite, sicher, die Licht auf anthropologisches Anderssein einer ganzen Art werfen kann – oder auf’s eben-d o c h-so-Sein, wie man annahm, und zwar in der ganzen Banalität und der ganzen Glut. Sondern es mit Klarnamen zu tun, so daß der Leser den Bekenner auf der Straße trifft, ihn anschaut und sagt (meistens wird er’s nur denken): „Ach, der Arme!“ oder „Dieses Arschloch!“ – d a r i n liegt die Provokation. Daß sie F o r m hat, sonst wäre das Weblog nicht literarisch, löckt dabei ganz besonders wider den geregelten Anstand. Dann stehenzubleiben und stolz zurückzuschauen, vielleicht zu lachen und zu sagen: „Je nun, so ist’s“ und sich nicht weiter drum zu bekümmern, schließt Freiheitsräume auf. Man braucht die Heimlichkeit nicht mehr und macht die Erfahrung: Da ist ja gar keiner, der „Ach, der Arme“ ruft. Sondern die Leute schaun einen an und sind irritiert, weil sie mit soviel Klarheit nicht klarkommen können. Aber selbst das ist es eigentlich nicht, sondern: daß das Geheimnis b l e i b t, und das Bekenntnis hat ihm rein nichts genommen. Im Gegenteil, zur sich öffnenden Person ist Geheimnis noch hinzugekommen. Allein, weil sie dasteht. Als Person u n d als Text. Da i s t dann niemand, der sagte: „Der ist ja gänzlich ausgehungert und gibt’s auch noch zu!“ Sondern der Leser ist sprachlos gegen so viel offene, vitale Realität. In diesem Moment gehen Literatur und körperliche Wirklichkeit einen Bund miteinander ein, und eines hebt das andere. Kunst wird Welt - Weltt e i l, wohlgemerkt.

>>>> 65
63 <<<<

Maimonides. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (63).

Einen Kosmos in den Kosmos falten, das Weblog als hinabreichende, grabende, die kleinen Feuerpunkte auffältelnde Bewegung und jeden Link poetisieren, ihm Zitate zuordnen, Einfälle, durch die jede Verknüpfung einen n o c h anderen Sinn, wenigstens Geschmack bekommt. Insofern hat der leichte Vorwurf, Die Dschungel seien zwar stark ineinander, kaum indes mit anderen Weblogs verlinkt, recht wie unrecht zugleich, also als Vorwurf: als solcher ist er ohnedies absurd. Sondern die Binnenverlinkung nutzt gerade in ihrer extensiven Form die Form-des-Netzes ästhetisch als Vorbild; sie ist künstlerisch ebenso mimetisch am Vor/Bild wie das Gemälde eines Malers an der Natur, bzw. an der Malerei selbst, bzw. an ihrer Geschichte. Ein Roman, der sich an der Ilias orientiert oder an der Odyssee, tat und tut genau das gleiche; anderes ist auch gar nicht möglich, will man nicht in einen Zustand zurückfallen, bzw. ihn restaurativ kultivieren, der die technologische Entwicklung der Menschheit aus seinem Betracht ausklammert. Insofern ist die gängige Vorstellung des literarischen Realismus zugleich ästhetisch primitiv, wie sie auch, und zwar, Bedürfnisse vorauseilend befriedigend, den Menschen auf einem Zustand festsetzt, der objektiv längst überwunden war, doch sentimental weiterwirkt. Das heißt, der literarische Realismus, wie er außerhalb Der Dschungel gemeinhin verstanden und gesetzt wird, ist anti-emanzipatorisch; schon daß er an einem anthropologischen (Selbst-)Bild festhält, das im historischen Humanismus formuliert worden ist, deckt seinen regessiven Willen auf. Denn die Verwerter der realistischen Literaturkonzeption sind ökonomisch sehr viel weiter, ihre Logistik steht über den Bedürfnissen der Rezipienten und beutet sie zur Befriedigung ihrer Kapitelinteressen aus: d a r u m sind nicht-realistische Ästhetiken dem mainstream so unangenehm, und darum versuchen sie, ihn aus dem Markt zu drängen. Denn sie überschauen sie nicht. So werden sie objektiv als gefährdend betrachtet: zugleich die Bedürfnisse der Leser wie die derer gefährdend, die diese ausbeuten und deshalb ganz unbedingt auf dem überkommenen Stand festnageln wollen.
Sich dem Netz anzupassen, also die Verlinkung auf Fremdes sich zueigen zu machen, ohne dies zugleich Maßgabe des eigenen Erscheinens werden zu lassen und ohne das ins-unüberschaubar-Fremde Eingeschmiegte zum ästhetischen Eigenen zu machen (d.h. Bestandteil einer community zu werden), widerstrebt deshalb den mahnenden ‚Netties’ ebenso wie den Marktvorgängen, die das Verfahren pekuniär auswringen wollen.

>>>> 64
62 <<<<

Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (62).

Es ließen sich aus Der Dschungel bereits drei oder vier Bücher destillieren:
Paralipomena.
Kleine Theorie des Literarischen Bloggens.
Tagebücher September 2004 bis Januar 2006.
Und eventuell
Notate.
Man zöge heraus, was fertig ist, löschte diese Texte aus dem Literarischen Weblog hinweg und ließe stehen, was unerfüllt ist, ließe aber auch die Links stehen, die auf die fertigen Texte verweisen und nun in eine Leere führen, die von der materialen Realität gefüllt wird. Als einen Verweis auf diese Realität, die ja ein Körper ist. So würde etwas bewußt, das sich im Netz so allzuschnell vergißt: Was wir sind.
Und wieder vergingen zwei Jahre, und wieder nähme man aus dem Weblog die Körper heraus, deren leere Stellen es dann abermals füllte, ein Pulsen, ein ständiges Werden, Hinausgeben und Auffüllen. So würde das Weblog zu einem O r g a n, Gebärmutter wär es. Und trüge leibliche Kinder. Deren eines, vielleicht, aus den Kommentaren und Streits und Gesprächen bestünde. Das hieße dann
Korrespondenzen
.
Ein Buch voll Emotionen: Wut, Ärger, Vorwürfen, Zustimmungen, Verständigungsversuchen, Mißverständnissen, Ironien. Ein Buch von uns. Die Utopie und das Prozessuale.

>>>> 63
61 <<<<

Öffentlichkeit. Mutter (Matrix). Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (60).

>>>> Hierdurch zeigt es sich, daß Öffentlichkeit, wie ich >>>> anderswo schrieb, tatsächlich zur Mutter w i r d, einer symbolischen, selbstverständlich: auch dies ein >>>> autopoietischer Prozeß, eine sich, weil man sie w i l l, geradezu selbsterschaffende Bewegung. Mit einem Mal sind die Leser d a, und zwar als reagierende, nicht bloß konsumierende. Die Reaktion reicht von der Strafe (mobbing) bis zur Belohnung (die Miete des Autors wird für ein Jahr von Lesern bezahlt, andere senden ein wenig Geld, damit die flatrate nicht gefährdet wird und also ihr Lesestoff - symbolisch: ihr Kind – nicht darbt); es gibt gute und mahnende Ratschläge („man muß im Leben einen Brotberuf haben“; „andere arbeiten a u c h für ihr Geld!“: ein Satz, der wie in guten Familien als selbstverständlich unterstellt, daß Kunst zu schaffen Arbeit nicht s e i, sie zumindest für ein Hobby hält, das sich einer leisten können muß usw.). Insgesamt wird ein ernsthaftes Sprechen daraus. Der Schritt hier ist einer in die Realität: das literarische Weblog treibt Schnittstellen wie Knospen, sei es bei >>>> ebay (was ja die Idee einer LeserIn war), sei es durch die Anweisungen aufs Konto; mehr noch: sogar Liebesgeschichten können sich realisieren, solche, die aufgrund einer poetischen Rezeption begannen und auf andere Bereiche des Netzes, semi-realistische wie zum Beispiel Webcams, übergreifen und ihrerseits, wiederum, zu neuen Gedichten führen. Auch für diese ist lektorierender Ratschlag parat und greift ins Literarische Weblog selber ein: ebenfalls von außen. Eine enge Verknüpfung von Geist (Internet) und Körper (Cam, Telefonate, Besucher) hebt an, es geht also n i c h t um community, n i c h t ums illusorisch Abtrakte. Dennoch ist Literatur immer Grundierung und bleibt es; wieder zu ihr, letztlich, wird ein jedes Gespräch. Inniger – sofern die Türen, die die genannten Schnittstellen sind, durchschritten werden – läßt sich Familie nicht fassen. Was dem Buch unmöglich ist – nämlich ein wechselwirkender Austausch – findet im Literarischen Weblog s t a t t; Texte werden, während sie noch entstehen, aufgrund von Einwänden verändert, und zwar durch ihre Leser, aber auch die Personen-real unterliegen der Wandlung: einer vorsichtigen, gewiß, aber einer, die sich durchs Argumentieren und, im Literarischen Weblog eben, durchs Lesen begibt und ihrerseits in das Literarische Weblog hineinstrahlt. Die spezielle Form von Nähe ist es, was die tektonisch grundsätzliche Verschiebung erreicht. Der belletristische Literaturbegriff-selbst wandelt sich. Möglicherweise erhält die Dichtung so ihre verlorene (gesellschaftliche) Relevanz zurück.

>>>> 61
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